Glaubwürdigkeit ist ein hohes Gut
Gepostet in Blog | Keine KommentareWer vorgibt sich zu kümmern, der muss wenigstens erreichbar sein
Ob mit einem kurzen Statement – notfalls aus dem Urlaubsort – oder einer wichtigen Entscheidung, nur wer auf aktuelle Entwicklungen reagiert, der wird als Handelnder im politischen Prozess wahrgenommen. Vorbei sind die Zeiten, als sich noch in den siebziger Jahren ein Ministerpräsident Heinz Kühn (SPD) erlauben konnte, für mehrere Wochen etwa nach Madagaskar zu reisen, die Probleme in seinem Bundesland anderen zu überlassen und ganz einfach nicht erreichbar zu sein. Dennoch setzte es auch vor der Einführung modernster Telekommunikation hin und wieder gehörige Kritik, wenn ein Ministerpräsident über längere Zeit abtauchte. So ist vom damaligen CDU-Generalsekretär Kurt Biedenkopf der Satz überliefert, wonach Kühn “der mit Abstand reisefreudigste Landesvater der Bundesrepublik“ war, der „die Fidschi-Inseln und die Südsee besser kennt als Bochum und Herne“ (SPIEGEL 27/1978 vom 03.07.1978). Biedenkopf sprach damit eine Selbstverständlichkeit aus: Ein Ministerpräsident hat sich um die Probleme im Land zu kümmern und er sollte nicht den Eindruck erwecken, dass er den Problemen zu Hause aus dem Weg geht.
Etliche Jahre nach Kühn erntete einer seiner Nachfolger, Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU), wiederum viel Kritik, weil er diese Regel brach. Wochenlang war Jürgen Rüttgers den Betroffenen aus dem Weg gegangen, nachdem der Jahrhundert-Orkan Kyrill, eine der schlimmsten Unwetterkatastrophen in Nordrhein-Westfalen seit Jahrzehnten, im Januar 2007 gewaltigen Schaden angerichtet hatte. Geschlagene vier Wochen brauchte der zögernde Landesvater, bis er sich dazu bereit fand, das vom Orkan besonders heimgesuchte Sauerland zu besuchen. Vielleicht hatte Rüttgers Angst davor, angesichts der Not vor Ort zu schnellen und teuren Hilfszusagen genötigt zu werden? Oder war er schlicht überfordert mit der Einschätzung der Lage? Beides wiegt gleich schwer in der politischen Wahrnehmung.
Die Wähler jedenfalls verziehen ihm das nicht. Bei der darauf folgenden nordrhein-westfälischen Landtagswahl im Mai 2010 kassierte die CDU ihr bis dahin schlechtestes Wahlergebnis aller Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen. Jürgen Rüttgers verlor sein Amt. Die Wählerinnen und Wähler im Sauerland hatten ein wichtiges Wort mit gesprochen: Die Einbrüche für die Partei des zaudernden Ministerpräsidenten in den von Kyrill am meisten betroffenen Wahlkreisen waren überproportional hoch.
Wiederum wenige Jahre später war es <span class=“lemma“>Hannelore Kraft</span> (SPD), die Nachfolgerin des so unglücklich agierenden Jürgen Rüttgers, die nach einer Unwetterkatastrophe den Eindruck erweckte, heimischen Problemen auszuweichen. Es war zu Pfingsten im Jahr 2014. Das Sturmtief „Ela“ hatte das Land verwüstet. Sechs Menschen wurden getötet und mehr als 100 verletzt. In ganz Deutschland war durch die blockierten Strecken im Ruhrgebiet und am Rhein der Bahnverkehr aus dem Takt geraten. Düsseldorf versank im Chaos und auch im Münsterland gab es gewaltige Sturm- und Wasserschäden.
Doch die Düsseldorfer warteten vergebens auf den Besuch der Landesmutter, die Menschen in Münster sahen sie erst fünf Wochen später. „Nahe bei den Menschen“ zu sein, so waren sich viele Beobachter einig, sieht anders aus.
Im darauf folgenden Juli hatte ein Sintflut artiger Regen einen Teil des Münsterlandes unter Wasser gesetzt. Während über Münster und Greven innerhalb weniger Stunden bis zu 300 Liter Regen pro Quadratmeter niederprasselten, keimte bei den Bürgern Weltuntergangsstimmung. Mehrere Stadtteile standen unter Wasser, mehrere Tote waren zu beklagen, überall abgeknickte Bäume, zerstörte Dächer, beschädigte Fahrzeuge, umgestürzte Bauzäune und zerfetzte Stromleitungen. Tausende Menschen standen innerhalb weniger Stunden buchstäblich vor dem Nichts.
Die Ministerpräsidentin nahm dies nicht zur Kenntnis. Denn Hannelore Kraft, die ihre Sternstunde hatte, als sie nach der Loveparade-Katastrophe im Juli 2010 sofort zur Stelle war, und Trost und Hilfe spendete wo sie nur konnte, schipperte diesmal „in Brandenburg auf einem Schiff und hatte eine Woche keinen Empfang zur Außenwelt“. So jedenfalls erzählte sie es. Schnell machte das Wort vom „Funkloch“ die Runde. Aus Krafts Umfeld hieß später: Die Landesmutter habe ihr Handy keinesfalls ausgeschaltet, allerdings sei sie auf ihrer Bootstour häufiger in Funklöcher geraten. Als sich die Debatte um das Fernbleiben der Ministerpräsidentin gar zur „Funklochaffäre“ auszuweiten begann, da tat ihr Regierungssprecher alles, um Glauben zu machen, seine Chefin habe gemeint, dass sie im Urlaub keinen Fernseher an Bord hatte und daher auch erst später die Unwetterbilder gesehen habe.
„Eine Ministerpräsidentin wird nicht noch einmal erzählen, dass sie eine Woche lang nicht erreichbar war.“
(Der Politikwissenschaftler Bodo Hombach im Interview mit Till-R. Stoldt in WamS vom 14.12.2014)
Erst einen Monat nach der Katastrophe fuhr Kraft nach Münster. Und ebenfalls erst nach mehreren Wochen gab sie kleinlaut zu, dass sie von Innenminister Ralf Jäger (SPD) auf dem Boot sehr wohl über das Unwetter informiert worden war. Krafts Bild von der ehrlichen Haut und Kümmerin versank im Sommer des Jahres 2014 in den Fluten von Münster.